A. Thurnher, Meerschweinchen und das Internet

Der Herausgeber und Chefredakteur der Wochenzeitung Falter, Armin Thurnher, hatte in einem seiner Kommentare (41/09: „An meine Meerschweinchen: Entwarnung! Das Internet kann bleiben“) eine Diskussion über das Wesen von Blogs, Forum-Kommentaren, Microblogging, also dem ganzen Social Media-Zeugs ausgelöst. Sinngemäß spricht Thurnher vielen oder den meisten Bloggern die Fähigkeit zur Recherche und zum eigenen Denken ab. Klassischer Journalismus wäre weiterhin unverzichtbar, und das Publizieren auf Papier sowieso. Da Thurnhers Kommentare nicht im Web veröffentlicht werden – die Falter-Website sieht sich in erster Linie als Lokalführer und Online-Shop – kann ich das nur aus dem Gedächtnis wiedergeben.

Seine Thesen sind selbstverständlich diskussionswürdig, und werden prompt auch fleißig diskutiert. Sogar im Falter selbst wurde Platz für ganze vier (!) Meinungen eingeräumt. Aber eben nur in der Printausgabe. Denn auch die Gegenmeinungen sind nur dort online nachlesbar, wo sie der Autor selbst ins Netz gestellt hat (helge, christoph). Die Diskussion in der Blogosphere findet hingegen offensichtlich zum Leidwesen des Herausgebers statt. Er fühlt sich missinterpretiert, missverstanden, schlecht behandelt. Nachzulesen ist der Originalkommentar im Netz aber weiterhin nicht (Anmerkung: siehe Update weiter unten).

Manche Blogger haben daher zur Selbsthilfe gegriffen. Der Kommentar wurde eingescannt und als Bild veröffentlicht. Macht ja auch Sinn, erst zu lesen, worüber man dann diskutieren will, und Texte in Bildern werden von Suchmaschinen sowieso nicht analysiert und indexiert.

Das macht Thurnher jetzt aber sauer. In der aktuellen Ausgabe des Falter (21.10.2009) schreibt er sinngemäß, diese Scans hätten aber sowas von dalli zu verschwinden, ansonsten eine Honorarnote ins Haus flattern würde. € 250,- Minimum auf der nach oben offenen Honorarskala großer Journalisten.

Formalrechtlich gesehen mag Thurnher recht haben. Ob das politisch klug ist, mag ich bezweifeln. Warum stellt der Falter den Kommentar nicht selbst ins Netz, sodass sich Leser und Schreiber darauf beziehen können? Der Falter würde damit auch wertvolle Links sammeln, aber damit spricht jetzt der Online-Marketing-Fuzzi aus mir. Vergessen Sie den letzten Satz, bitte.

Und dann war da noch etwas. Thurnher schreibt, er müsse ja nicht von allen Communities und Blog-Netzwerken geliebt werden. Oje. Gegenmeinung bedeutet Liebesentzug? Und muss seinerseits durch Liebes- und Geldentzug bestraft werden? Wie darf man sich die Falter-Redaktionssitzungen vorstellen? In der Mitte des Tisches ein Riesenpaket Taschentücher? Gehaltskürzung für Redakteure, die anderer Meinung sind mit Beharrungsbeschluß?

Ich hoffe, dass Thurnher nicht zum Michael Fleischhacker der österreichischen Blogszene wird. Besser ausgedrückt: zum Gottseibeiuns der politisch interessierten und wachen Menschen. Denn ob die nun auf toten Bäumen (danke, Helge) oder mit Hilfe von Elektronen diskutieren, das sollte doch keine Rolle spielen.

Denn als großartigen Journalisten liebe ich Armin Thurnher unverändert. Und ich entziehe ihm meine Liebe nicht wegen mancher seiner Ansichten, die ich nicht teile. Versprochen.

Im übrigen bin ich der Meinung, der Falter muss endlich eine Website bekommen.

Update

Der Kommentar des Chefredakteurs ist doch online, und ebenfalls die vier Kommentare von Susanne Gaschke, Julia Seeliger, Helge Fahrnberger und Christoph Chorherr. Nicht leicht zu finden zwischen Restaurants und Abo-Fahrrädern, aber doch. Klicken Sie von der Startseite www.falter.at aus auf „falter top stories“, dann auf „Archiv“, und suchen Sie nach der Ausgabe 41/09. Das Füttern des Suchfelds mit „Meerschweinchen“ bringt leider keinen Treffer.

Kommentare

5 Antworten zu „A. Thurnher, Meerschweinchen und das Internet“

  1. Hi Hedu,

    selten einen Kommentar gelesen, der so ins Schwarze trifft.

    Aus (mindestens) drei Gruenden:

    1. Sich vor einer Online-Diskussion fuerchten zeigt, dass man schlechte Argumente hat. Denn Berufs-Anti-Poster disqualifizieren sich mit Vorliebe selbst, wenn sie keinen guten Punkt haben.

    2. Die Falter-Website koennte in Wien unter den Top 5 mitspielen, wenn sie ernsthaft (und mit Inhalten), also nicht nur als haessliches Service-Portal betrieben wuerde.

    3. Turnhers Verdienste – auch wenn er sie in der Print-Welt erkämpft hat – sind dennoch nicht hoch genug zu schaetzen. Jetzt ist es gerade wieder etwas hipper, fuer Meinungsvielfalt zu sein. Er war aber lange Zeit ein einsamer Rufer mit gutem Netzwerk, und die Markttendenzen bestaetigen den Handlungsbedarf taeglich.

    Blog on! :)
    Stef

  2. […] This post was mentioned on Twitter by Nicole Kolisch, Johannan Edelman. Johannan Edelman said: #arminthurnher droht mit mind. 250€ honorarnote für eingescannte versionen seiner Beiträge http://bit.ly/2zhjyt […]

  3. Social comments and analytics for this post…

    This post was mentioned on Twitter by schrefel: Abt Armin kann es nicht lassen http://tinyurl.com/yzkxlza

  4. Hört sich ja sehr interessant an, jetzt muss ich Piefke allerdings mal nachsehen, wer Armin Thurnher überhaupt ist…

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